Von ihnen lernen und weiter kämpfen

Im Ramen des Gefallenenmonats haben wir uns darüber Gedanken gemacht, wie uns Frauen, die in der Vergangenheit gekämpft haben, mit ihren Geschichten beeinflussen. In dieses Gedenken möchten uns diese drei jungen Frauen einbeziehen und ihre Gedanken mithilfe von Briefen hier teilen.

Mina: Der Monat der Gefallenen und damit die Genossinnen, denen wir darin gedenken, haben für mich eine große Bedeutung. Aber für mich ist das keine Periode der Trauer, der Trägheit oder Resignation. Trauer, Wut oder Besinnlichkeit haben natürlich auch ihren
Platz, aber diese Zeit und die Menschen, den sie gewidmet ist, bedeuten viel mehr als das. Sie sind ein Anlass für Inspiration, Hoffnung, Mut und das Teilen schöner Erinnerungen. Uns wird die Möglichkeit gegeben, auf die beeindruckenden Leben dieser Menschen zurückzublicken, die bereit waren, alles zu geben im Kampf für eine gerechtere, bessere Welt. Die Möglichkeit ihre Gedanken, Hintergründe und Ideologie kennenzulernen und von ihnen zu lernen.
All das gilt ganz besonders für unsterblich gewordene Frauen. Wie aus jedem anderen Bereich des öffentlichen Lebens wurden und werden wir auch aus dem politischen Kampf seit je her verdrängt. Uns wurde Mitsprache verwehrt, unsere Ideen ignoriert,
unser Präsenz unsichtbar gemacht und unsere Errungenschaften verleugnet. Aber wir akzeptieren diese lächerlichen Versuche unseren Kampf zu invalidieren nicht. Wir wissen, dass unsere Genossinnen diesen Kampf bereits seit mehreren hundert Jahren
nicht nur führen, sondern auch bereit sind ihre Leben für ihn zu geben. Ein ganz besonderes Beispiel hierfür ist die Revolution in Rojava. Denn diese ist von ihren Grundidealen auf auch eine Frauenrevolution und damit sind Frauen in jedem
Bereich unverzichtbar involviert. Sie waren und sind Teil der Befreiung der Region, ihres Wiederaufbaus und ihrer Verteidigung. Und viele von ihnen sind dabei unsterblich geworden. Diese Genossinnen waren bereit alles für den (Frauen)Kampf zu geben und
lehren uns von Konsequenz, Mut und Hingabe. Zwei Geschichten haben bei mir ganz besonders Eindruck hinterlassen.
Einerseits die von Okan Altunöz, einer Kurdin und Alevitin, die seit 2016 Revolutionärin in Rojava war. Als trans Frau kämpfte sie auch gegen den Heterosexismus und zeigt mir, dass wir alle gleichermaßen Teil dieses Kampfes sein können und müssen. Sie inspiriert
mich über meine eigenen Probleme hinauszuwachsen und meinen Individualismus abzulegen. Andererseits ist es die Geschichte von Ivana Hoffmann, einer jungen Revolutionärin aus Duisburg. Als lesbische, schwarze Frau aus der Arbeiterklasse musste sie schon früh
selbst Unterdrückung kennen lernen und begann ebenso früh, dagegen zu kämpfen.
Schon mit 18 Jahren reiste sie nach Rojava und wurde Teil der Revolution. Von ihr können wir lernen, dass eine jede von uns zu Großem und Bedeutendem in der Lage ist, wenn wir genügend Mut und revolutionären Geist in uns aufbringen.
Unsterbliche Frauen sind Inspirationen für mich, sie sind Vorbilder und Antrieb mich weiter zu entwickeln und zu einer besseren Revolutionärin zu werden. Sie zeigen, wie viel Mut und Kraft in uns allen steckt und spornen an , sie zu finden und für unsere
politische Praxis zu nutzen. Wir müssen ihre Geschichten in Erinnerung behalten, daran denken, was für außergewöhnliche Menschen vor uns waren und den Kampf in ihrem Namen weiterführen.

Marina: Unsterbliche Frauen hatten und haben einen sehr großen Einfluss auf mich. Ihre Geschichten zu hören und über sie zu lernen, gibt mir sehr viel Hoffnung. Vor meiner Organisierung konnte ich nicht so wirklich Hoffnung für einen Widerstand im Kapitalismus finden und es fehlte mir häufig an einer Perspektive. Durch Frauen wie Ivana Hoffmann habe ich unglaublich viel Hoffnung und Motivation gewinnen können. Frauen, die sich voller Überzeugung gegen das System stellen und für eine würdevolles Leben für alle kämpfen, trotz Repressionen und letztendlich sogar ihr Leben für eine bessere Welt geben. Das hat mich sehr geprägt. Als ich das Buch von Ivana Hoffmann las, habe ich sehr viel Kraft dadurch gewinnen können. Ihr Geschichte hat mich unglaublich beeindruckt. Zu sehen, wie sie mutig, stark und überzeugt gegen den Faschismus kämpfte und allen fair und aufgeschlossen begegnete. Auch wenn sie noch jung war, hat sie als Frau und LGBTI+ gesehen, dass dieses System uns fortwährend ausbeutet und dementsprechend gehandelt. Sie hat eine Entscheidung getroffen und mit ihrem damaligen Leben in Deutschland gebrochen, um die Frauenrevolution in Nord- und Ostsyrien mit ihrem Leben zu verteidigen. Trotz ihrer Familie und ihren Freund:innen, welche sie geliebt haben, hat sich entschlossen zu gehen und ist eine unsterbliche Frau geworden, aus welcher Geschichte wir heute alle Kraft und Mut schöpfen können. Unsterbliche Frauen zeigen uns, dass es sich lohnt gegen dieses System zu kämpfen und dass es wichtig ist eigene Bequemlichkeiten aufzugeben. Sie zeigen uns, dass uns keine Wahl bleibt und wir uns gemeinsam als Frauen und LGBTI+ gegen Patriarchat und Kapitalismus organisieren müssen. Die Geschichten unsterblicher Frauen haben mir deutlich gemacht, dass es Hoffnung in unserem Widerstand gibt, dass es sich lohnt zu kämpfen. Sie sind ein Vorbild für uns alle, denn wir können viel von ihnen lernen. Es ist wichtig ihre Geschichten zu erzählen und an sie zu gedenken, denn sie haben ihr Leben für eine Revolution und eine bessere Welt geopfert. Ich glaube, dass viele Personen durch ihre Geschichten den Mut finden sich gegen den Kapitalismus zu organisiere, denn sie können sehen, was für eine Sprengkraft Frauen im Widerstand besitzen.

Dalia: Mit der Frauenunterdrückung war ich – wie jede andere Frau – sehr früh konfrontiert. Ob es Gewalt in den eigenen vier Wänden war, Geschichten von Freundinnen, Tanten, Cousinen oder aus dem eigenen Leben. Mit den Jugendjahren entwickelte ich langsam ein Geschlechtsbewusstsein. Es waren die kleinen Momente, wo ich gelernt habe was Frauensolidarität ist. Sich an der Seite an Freundinnen, Mitschülerinnen und Frauen stellen, wenn wir sehen, wie sie wie ein Objekt behandelt werden. Nicht selten wurde fremden Frauen und Mädchen in der Öffentlichkeit Hilfe angeboten, weil wir wussten in einer Gruppe von Frauen ist man stärker als allein. Aber wie kann ich diese Frauensolidarität weitertragen? Von Ivana Hoffmann hörte ich vor meiner Organisierung. Eine junge Frau aus Duisburg zog nach Rojava, um die Frauenrevolution zu verteidigen. Eine Frau die wahrlich die Frauensolidarität in die Tat umgesetzt hat. Eine junge Frau – damals so alt wie ich aktuell – kämpft gegen den IS und verteidigt die Frauenrevolution. Eine Revolution, die ein Leben frei von Kapitalismus, Faschismus und Patriarchat erzielen wird. Das ist wohl für viele erst unvorstellbar, wenn man fast kaum wo auf der Welt die patriarchale Gewalt in keiner Sekunde des Lebens ausschalten kann. Ich war hin und her gerissen und ein halbes Jahr später habe ich mehr über sie erfahren. Gespräche mit Genoss*innen, Ivanas Freund*innen und Verwandten. Ich werde nicht vergessen wie eine Genossin, die Ivana sehr gut kannte, während des Camps meinte: „Wenn Ivana hier sitzen würde, ich bin mir sicher, sie hätte aus den Ruhigen unter uns das beste und stärkste rausgeholt“. Heute weiß ich, dass sie auch mich meinte. Ich war sehr neu unter meinen Genossinnen und dementsprechend sehr ruhig und unsicher. In den Monaten danach habe ich mich gemeinsam mit meinen Genoss:innen sowohl im theoretischen Wissen als auch in der politischen Praxis weiterentwickelt. Leider gab es auch Zeiten, wo es anders aussah: Studium, politische Organisierung, finanzielle Ängste, Familie und Freunde. Viele Fragen in meinem Kopf, die rumschwirrten. Renne ich als Kommunistin im Kapitalismus gegen eine Wand? Wie soll ich mein Studium in 6 Semestern schaffen? Was halten eigentlich meine Eltern von meiner Überzeugung? Nach einem halben Jahr Organisierung wurde ich etwas unsicher.

3 Wochen lang war ich mit meiner Familie in der Heimat. Weit weg von Deutschland und meinen Genoss:innen. In den ersten Tagen las ich das Buch „Ein Leben voller Liebe und Hoffnung“. Und in den ersten Tagen wollte ich wieder zurück zu meinen Genoss*innen. Ivanas Geschichten haben mich wieder daran erinnert was ich schon als junges Mädchen wollte: die Befreiung aller Frauen. Und es hat mich daran erinnert, dass ich meinen Wunsch und mein Geschlechtsbewusstsein in eine revolutionäre Praxis umwandeln muss. Wir als revolutionäre Frauen müssen Ivanas rote Fahne weitertragen. Ihre Unsterblichkeit bedeutet, dass ihre Ideen, ihre Überzeugung und Praxis weiterleben und von uns weitergetragen werden müssen. All diese Überforderungen und Ängste, die ich hatte, flogen wie eine Feder weg. Ivanas lautstarke Art inspiriert mich auch als Frau mein Geschlechtsbewusstsein immer wieder zu reflektieren und die Ängste, die einem beigebracht wurden, zu brechen. Ivana ist unsterblich, weil wir als revolutionäre Frauen jeden Tag aufs Neue uns an ihre Geschichten und ihre Überzeugung erinnern. Daran was Frauensolidarität bedeutet und wir nicht an der Wirksamkeit unserer Praxis zweifeln sollten.

Von einer jungen Frau, die ich war, in der Menge schüchtern zurückhaltend und ruhig, bin ich heute anders. Zwar habe ich mein Ziel nicht erreicht, aber Ivanas Charakter und Überzeugung motivieren mich jeden Tag dazu mich gemeinsam mit meinen Genossinnen weiterzuentwickeln.

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