Am 6. Mai haben wir als Zora und SKB zum internationalen Frauensymposium nach Frankfurt am Main eingeladen, um über das Programm der Frauenrevolution zu diskutieren. Über 230 Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern nahmen teil, um Diskussionen über den weltweiten und aktuellen Zustand des Frauenbefreiungskampfes zu führen. Hierfür diskutierten wir mit Rednerinnen aus zahlreichen Ländern – darunter aus den Philippinen, Argentinien, dem Iran, Türkei, Kurdistan und Afghanistan. Um von den Erfahrungen und Kämpfen von Frauen aus der ganzen Welt zu nutzen haben wir nicht allein die spannenden Diskussionspanel verfolgt, sondern auch die Chance genutzt mit einigen der anwesenden Rednerinnen ins Gespräch zu kommen. Hierfür haben wir im folgenden Artikel zwei Interviews mit den Rednerinnen des Bunds sozialistischer Frauen (SKB) und Argentinien vorbereitet:
SKB aus Türkei/kurdistan
Was für eine Organisation ist SKB und welche Arbeiten führt sie an?
SKB ist eine Frauenorganisation aus Kurdistan und der Türkei. Wir sind in Europa mit unserer europäischen Organisation. Wir sind hier in insgesamt 7 Ländern vertreten; Österreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, England und Frankreich, in diesen Ländern arbeiten wir. Wir sind mit Migrant:innen vernetzt, vor allem aus der Türkei und aus Kurdistan.
Die Erdbeben und die aktuelle Krise zeigen mal wieder das wahre Gesicht des türkischen faschistischen Staates. Aber was bedeutet das explizit für Frauen und LGBTI+?
Seit 20 Jahren gibt es in der Türkei und in Kurdistan eine faschistische Regierung. Das Ergebnis davon ist eine Herrschaft, die Arbeiter:innen und Werktätige in Armut und Elend stürzt, sowie eine Macht, die in die Grundrechte der Frauen eingreift. Sie hat z.B. die Istanbul-Konvention abgeschafft. Gleichzeitig betrachtet sie LGBT-Menschen als Anormalität und hob ihre Rechte in der Istanbul-Konvention auf. Es ist also eine Regierung, die sowohl die Rechte von LGBTI+ Personen, als auch von Frauen in vielerlei Hinsicht abschaffte. Mit dem Erdbeben hat sich diesen Gruppen wieder einmal das wahre Gesicht des Kapitalismus gezeigt. Damit ist nicht nur das wahre Gesicht der faschistischen AKP-MHP-Regierung gemeint, sondern auch das wahre Gesicht des herrschenden Systems in der Türkei. Mit anderen Worten: Sowohl der Frauenbewegung, der LGBTI+-Bewegung, den Arbeiter:innen, den Werktätigen, und den Opfern des Erdbebens, in der Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit und der Armut hat sich das wahre Gesicht der Regierung gezeigt.
Warum sollte der Kampf türkischer, armenischer und kurdischer Frauen gemeinsam geführt werden? Was verbindet sie, vor allem in diesen Zeiten?
Die Frauen der Türkei gehören natürlich einer herrschenden Macht an, d.h. einer unterdrückenden Macht, genauer gesagt einer unterdrückerischen Nation an. Die Armenierinnen und Kurdinnen dagegen sind Frauen, die in der Vergangenheit, in der Geschichte, Völkermorden ausgesetzt waren. Sie wurden vergewaltigt, sie wurden massakriert. Vielleicht scheint es auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeit mit Frauen aus der Türkei zu geben, aber diese gibt es doch. Denn durch die Gewalt der Männer oder der Gewalt der faschistischen Regierung werden auch Frauen aus der Türkei unterdrückt. Frauen aus Kurdistan oder armenische Frauen sind aufgrund ihrer nationalen Identität ebenfalls Gewalt ausgesetzt und in mehrfacher Weise betroffen. Deshalb müssen diese Frauen einen gemeinsamen Kampf gegen die männliche Vorherrschaft führen. Das ist ihre eigentliche Gemeinsamkeit. Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, die männliche Vorherrschaft zu stürzen, sie zu beseitigen. Deshalb können sie davon ausgehend ihre Kämpfe vereinen.
Warum ist es die soziale Revolution und die Frauenrevolution und keine bürgerliche Partei, die die Unterdrückten in der Türkei und Kurdistan verbindet und befreien wird?
In der Türkei und in Kurdistan gibt es seit vielen Jahren einen Kampf für die Befreiung der Frauen. Die Machthaber haben immer wieder gewechselt. Die Kapitalisten, die Reichen, die Bourgeoisie haben immer wieder neue Parteien ins Spiel gebracht. Deshalb haben die Frauen jedes Mal ihre Forderungen nach Freiheit, ihre Forderungen nach Gleichheit erhoben, aber keine Regierung, keine bürgerliche Macht, keine patriarchale Macht konnte darauf reagieren. Deshalb sollten sich die Frauen heute nicht auf demokratische Kämpfe beschränken. Sie sollten sich nicht auf Forderungen beschränken, die vom Recht auf Abtreibung bis zur Lohngleichheit und dem Kampf gegen Gewalt reichen. Und für den Kampf gegen den Faschismus in der Türkei spielt Kurdistan eine wesentliche Rolle. Wir brauchen eine soziale Revolution. Als Arbeiter, Werktätige und Frauen, als LGBTI+ Personen brauchen wir eine soziale Revolution. Wir brauchen den Sozialismus. Aber alle unterdrückten Frauen in der Türkei und Kurdistan brauchen auch eine Frauenrevolution, eine Frauenrevolution, die den Kapitalismus stürzt und stattdessen einen Neuaufbau schafft. Denn nur so können wir den gewalttätigen Vater, Ehemann, Beziehungspartner, den gewalttätigen Staat, seine Gesetze, seine Gerichte, seine Polizei und alle seine Mechanismen loswerden. Nur so können wir die Ungleichheit der Geschlechter beseitigen.
PCR aus den Argentinien
Die erste Frage ist: Wer seid ihr als kommunistische Partei? Stell dich vor.
Ich bin Mitglied der Revolutionären Kommunistischen Partei Argentiniens (PCR). Wir sind eine Partei, die vor 46 Jahren gegründet wurde. Wir sind marxistisch-leninistisch-maoistisch und wir kämpfen für die Revolution in Argentinien.
Wie sieht Eure politische Rolle und Eure politische Arbeit in Argentinien aus und wie organisiert Ihr Euren Widerstand?
Wie ich bereits sagte, kämpfen wir für die Revolution, und auf dem Weg zum Kampf für die Revolution verfolgen wir verschiedene Taktiken. Heute erleben wir in Argentinien eine hohe Inflation [Stand März 2023: knapp über 100%]. Wir haben die Nase vorn bei den Notständen der Bevölkerung. Wir kämpfen, um an der Spitze zu stehen. Der wirtschaftliche Notstand, der Notstand der Gewalt gegen Frauen, der Notstand unserer Souveränität, wir kämpfen für die Verteidigung unserer Souveränität. Heute befinden wir uns in einer komplexen Situation, die mit einer internationalen Währungsschuld zu tun hat. Diese wurde von der vergangenen Regierung von Mauricio Macri eingegangen, welche ein Abkommen geschlossen hatte gemeint sind Abkommen mit dem Internationalen Währungsfond, bei denen dieser dem Land 2018 57 Milliarden Dollar lieh, den größten Kredit in der Geschichte des IWF. Die damit einhergehenden harten Sparmaßnahmen tragen sich insbesondere auf dem Rücken der Arbeiter:innen und ärmsten Teile der Klasse aus]. Was die derzeitige Regierung tut, führt wiederum zu einer enormen Anpassung, die die Probleme des Volkes im Allgemeinen und von uns Frauen im Besonderen verschärft. Heute ist es in Argentinien immer schwieriger, sich zu ernähren. Die Arbeitsplätze sind sehr schlecht bezahlt. Und viele Menschen leben auf der Straße, weil die Mieten in die Höhe geschossen sind. Die Kehrseite der Medaille ist, dass wir uns in verschiedenen Organisationen mit einer Einheitsfront einsetzen – die Organisation, die hinausgeht, um für die unmittelbaren Notfälle der politischen Situation zu kämpfen und um Kraft für die Revolution zu gewinnen.
Seid ihr derzeit im Parlament vertreten?
Ja, wir haben derzeit zwei nationale Abgeordnete im Nationalen Kongress. Wir haben einen Provinzabgeordneten in der Provinz Chaco. Wir sind in einigen lokalen Räten vertreten, die in eher regionalen Gemeinden sind. Das erlaubt uns einerseits, „diese Räume“ zu nutzen, um Gesetzesentwürfe einzubringen oder zu versuchen, eine öffentliche Politik zu fördern, die es uns ermöglicht, ein wenig aus dieser Situation herauszukommen. Wir sind Teil der „Frente de Todos“ (Front von Allen), dem Wahlbündnis, das heute an der Regierung ist; aber wir sind nicht die Regierung. Wir haben kein Mitspracherecht bei den Entscheidungen. Tatsächlich haben unsere Abgeordneten gegen das Abkommen mit dem IWF gestimmt. Während der Pandemie haben wir uns für eine Vermögenssteuer eingesetzt. Das sind die Dinge, für die wir gut sind. Aber ja, wir haben eine gewisse Repräsentanz.
Hat sich der Frauenbefreiungskampf durch die Kämpfe für legale Abtreibung und Selbstbestimmung in den Massen verankert und hat sozusagen einen nachhaltigen Effekt?
Ja, der Kampf um die legale Abtreibung dauert in Argentinien schon seit vielen Jahren an. In den Jahren 2018 und 2020 hatte er ein Epizentrum, einen bedeutenden Moment. Im Jahr 2018 haben wir es geschafft, dass der Gesetzentwurf im Nationalen Kongress behandelt wurde, was in der Geschichte noch nie erreicht wurde. Und später gelang es uns, das Gesetz über den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch zu verabschieden. Das hat uns geholfen, eine Debatte über ein Thema zu führen, das in unserer Gesellschaft still gehalten wurde. Wir haben viele Genossinnen gewonnen, indem wir das Thema von einem Klassenstandpunkt aus angingen. Viele Genossinnen waren ursprünglich nicht dafür, haben selbst abgetrieben oder haben die Abtreibung ihrer Nachbarinnen begleitet. Und ich kann dir persönlich sagen, dass ich mich sehr gefreut habe, am Ende des Tages viele dieser Genossinnen auf der Mahnwache 2020 zu sehen, die zu Vorreiterinnen dieses Kampfes geworden waren. Es ist sehr wichtig, dass unser Bezugspunkt immer die a m meisten Unterdrückten sind – und im Kampf für den Schwangerschaftsabbruch setzte sich dies in die Tat um.
Die Ni Una Menos Bewegung ist zu einem Vorbild geworden für den Frauenbefreiungskampf auf der ganzen Welt. Wie können wir diesen Kampf von weiter weg unterstützen für internationale Solidarität?
Zunächst einmal denke ich, dass die internationale Solidarität uns alle stärkt. Sie ist wie ein Austausch. In der Tat war die internationale Solidarität auch für uns im Kampf für den Schwangerschaftsabbruch von grundlegender Bedeutung. Wir konnten das Thema nicht nur innerhalb unseres Landes diskutieren, sondern es auch anderswo auf die Tagesordnung setzen und uns in diesem Kampf von vielen Klassenschwestern unterstützen lassen. Was die „Ni Una Menos“ so denke ich, dass wir einander stärken, denn das Problem der geschlechtsspezifischen Gewalt und ihrer höchsten Ausprägung, dem Femizid, ist ein Problem, das uns auf der ganzen Welt betrifft. Geschlechtsspezifische Gewalt macht keinen Unterschied zwischen den Klassen. Aber es ist für eine arme Frau nicht dasselbe wie für eine Frau mit Ressourcen, sich aus einer Gewaltsituation zu befreien. Die Solidarität erreicht uns, weil es ein Kampf ist, den wir alle fest umschlungen haben. In Argentinien erreichte er mit dem Femizid an Chiara Páez, einem 14-jährigen Mädchen, seinen Höhepunkt. Ich glaube, dass die beste Solidarität darin besteht, es mit Stärke zu nehmen und die Realität jedes Gebiets, jedes Landes dabei zu berücksichtigen.
Was ist eine Parole, die Ihr in Argentinien viel auf den Straßen ruft, und den wir hier auch rufen können, um uns zu solidarisieren?
Wir singen: „¡Ni una menos, vivas nos queremos!“ (Nicht eine weniger, wir wollen uns lebend!), und lasst uns alle rufen: „¡Emergencia nacional!“ (Nationaler Notstand)
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