Als am Morgen des 15. April Schüsse in der Hauptstadt Khartum fielen, spitze sich die Lage im Sudan, die schon seit Monaten angespannt war, extrem zu. Der Konflikt zwischen der Armee, den Sudanese Armed Forces (SAF) und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF), die bis zuletzt gemeinsam an der Macht waren, erreichte eine neue Ebene. Es sei ein Konflikt zwischen den Generälen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Der Krieg gilt genauso so sehr der Zivilbevölkerung, insbesondere jenen, die als Teil der Massenbewegung seit Jahren Widerstand leisten. Und damit auch unseren sudanesischen Schwestern, die gegen ihre Unterdrückung aufbegehren.
Zwischen 2018 und 2019 nahmen Frauen eine entscheidende Rolle in der anbahnenden Revolution ein. Sie organisierten sich in den Reihen zivil-angeleiteter Strukturen und waren Teil der Proteste, die über Monate hinweg landesweit die Straßen einnahmen. Als Frauen widersetzten sie sich dem islamistischen Regime des langjährigen Diktators Omar al-Bashir und den damit verbundenen reaktionären und patriarchalen Gesellschaftsstrukturen. Letztlich wurde Al-Bashir gestürzt, jedoch wurde der Kampf gegen ihn vereinnahmt durch die Armee, die ihn putschten, sowie die RSF-Milizen, mit denen die Armee im militärischen Übergangsrat kooperierten.
Man darf an dieser Stelle nicht dem Irrtum verfallen, dass die Politik der Militärjunta sich von der des alten Regimes signifikant unterscheide. Die RSF formte sich unter Al-Bashir aus den sogenannten Janjaweed-Milizen, die an Kriegsverbrechen und dem Genozid in der Region Darfur beteiligt waren. Und auch in den SAF, sowie in der Verfassung des Sudan, finden sich nach wie vor Überbleibsel aus dieser Periode. Man bedenke, dass es nach wie vor zu den wenigen Ländern gehört, die die UN-Frauenrechtskonvention nicht unterschrieben haben.
Die sudanesischen Frauen sind somit eine unentbehrliche Komponente der revolutionären Bewegung des Landes. Kaum eine andere Bevölkerungsgruppe hat ein stärkeres Interesse daran, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu stürzen. Kaum eine andere Bevölkerungsgruppe ist stärkeren Repressionen durch die Regierung ausgesetzt.
Aus diesem Grund organisieren sich sudanesische Frauen bereits seit Jahrzehnten gegen die patriarchalen Institutionen. Sei es gegen das Al-Bashir-Regime, welches Gesetze erließ, die ihre Körper kriminalisierten, oder gegen die verbrecherische Militärdiktatur: Unsere sudanesischen Schwestern leisten Widerstand an erster Front.
Das Ausmaß an Zerstörung, dass sich innerhalb eines Monats von Khartum über den gesamten Sudan ausbreitete, ist immens. Mindestens 800 Tote Zivilist:innen, vierfach so viele Verletzte und Hunderttausende auf der Flucht. Und es sind nicht nur die Luftangriffe auf Wohnviertel, in denen sich die Milizen verschanzen und die Gefechte, die große Teile der Bevölkerung zur Flucht gezwungen haben, soweit dies ihnen überhaupt möglich ist. Mit jedem Tag gehen lebensnotwendige Mittel weiter zur Neige, Nahrung und Trinkwasser sind knapp. Und auch medizinische Versorgung wird inmitten des Krieges stark eingeschränkt. Zahlreiche Krankenhäuser wurden zerstört oder sind aufgrund von Stromausfällen nicht nutzbar, alleine in der Hauptstadt sind es 61 % der dortigen Einrichtungen. Zudem werden Mediziner:innen sowohl von der Armee als auch seitens der Milizen bedroht. Zwar bemühen sich die sogenannten Widerstandkomitees, organisierte zivile Strukturen, die seit 2019 ein wichtiger Teil der Massenbewegung sind, medizinische Mittel und Leistungen zu organisieren; Ihre Möglichkeiten sind jedoch stark begrenzt.
Die Lage im Sudan bestätigt wiederholt, was bisherige Krisen bereits aufgezeigt haben: Während Krieg wütet, während Katastrophen Lebensgrundlagen mit sich reißen, sind es Frauen, die am stärksten gefährdet sind.
Denn es sind nicht nur Bomben und Gewehre, die während eines Krieges als Waffen zum Einsatz kommen; auch sexuelle Gewalt. In Kriegsgebieten werden Frauen durch diese ständige Bedrohung terrorisiert, zur Demütigung, um ihre Moral zu brechen und um sie weiter in die Fänge der patriarchalen Unterdrückung und Ausbeutung zu drängen.
Insbesondere Schwangere und Stillende unmittelbar sind von der Knappheit an Nahrungsmitteln und der nicht verfügbaren medizinischen Versorgung im Land betroffen. Diese Situation wird sich, solange der Konflikt anhält, in den kommenden Monaten nur verschärfen; durch die Unterbrechung der für Anfang Mai
Besonders die RSF-Milizen sind für Gewaltverbrechen an Frauen berüchtigt. In Khartum brechen sie in Studentenwohnheime ein, vergewaltigen dort junge Frauen. Viele verbarrikadieren sich in dort in ihren Zimmern, in der Hoffnung, die Bedrohung abwenden zu können. Dies gefährdet sie zeitgleich stärker im Falle eines Luftangriffes. Sudanesische Frauen müssen abwägen zwischen Fluchtwegen und Übergriffen. Es ist somit nicht überraschend, dass „Unsere Körper sind nicht euer Schlachtfeld“ zu einem Slogan der Frauenbewegung im Sudan wurde. Bereits während des jahrzehntelang andauernden Krieges in Darfur nutzten die RSF, beziehungsweise ihre Vorgänger, die Janjaweed-Milizen, sexuelle Gewalt an Frauen als ein Mittel der Kriegstreibung.
Obwohl nichts davon geheim ist, zückte die internationale Gemeinschaft kaum eine Wimper, als die RSF unter Dagalo und die sudanesische Armee unter Al-Burhan die Macht an sich rissen. Zuerst 2019, später 2021, als sie den geplanten Übergang zu einer zivil-angeleiteten Regierung verhinderten. Mahnende Worte und Sanktionen, die jeden treffen, nur nicht die Generäle und ihre Kriegsgeschäfte. Erst im Dezember letzten Jahres wurden erneut Verhandlungen aufgenommen, um den Übergang zu einer Zivilregierung einzuleiten. Die militärischen Kräfte wurden wieder miteinbezogen, obwohl aus der demokratischen Faktion und der Massenbewegung schon seit Jahren Stimmen läuten, die immer wieder fordern, die SAF und die RSF vollständig auszuschließen. Schon lange erkennen sie, dass sie kein Interesse daran haben, ihre Macht zu teilen oder abzutreten und dass dies nie auf diplomatische Art und Weise geschehen wird. Doch die internationale Gemeinschaft, allen voran die EU, die USA und Israel, Russland, Saudi-Arabien und die VAE, sowie Nachbarländer Sudans wie Ägypten und Libyen, pochten immer wieder auf die Inklusion der Generäle in die politischen Prozesse. Nicht zuletzt, da sie selbst von der hoch militarisierten Wirtschaft des Landes und ihren Beziehungen zu der Junta profitieren.
Ein demokratischer Wandel wird im Sudan nicht möglich sein, solange die Generäle und die Interessen imperialistischer Staaten nicht aus dem Spiel sind. Ebenso wird keine fortschrittliche Revolution möglich sein, bis auch die Frauen des Sudan nicht frei sind. Dazu kommt es allerdings zu kurz, schlichtweg die Übernahme zivil-demokratischer Kräfte zu fordern. Auch innerhalb dieser Reihen werden Frauen unterdrückt und zurückgehalten. Das Abkommen, welches letzten Dezember in Zusammenarbeit des zivilen Forces for Freedom and Change (FFC) -Bündnisses mit dem Militärrat ausformuliert wurde, sah beispielsweise keine Vorkehrungen gegen sexuelle Gewalt in jedweder Form vor.
Auf die bürgerlichen demokratischen Kräfte, die momentan die Massenbewegung vertreten sollen, wie die FFC, ist in dieser Hinsicht kein Verlass, nicht zuletzt, weil sie sich ohnehin noch auf Gespräche mit den Generälen einlassen. Den fortschrittlicheren
Teilen der Gesellschaft ist dies schon lange bewusst, denn ihnen ist klar, dass eine Stabilisierung des Landes niemals erfolgreich sein wird, solange das Militär und seine Verbündeten von diesen Prozessen nicht ausgeschlossen werden.
Als Internationalist:innen und Antikapitalist:innen müssen wir uns mit der revolutionären Frauenbewegung im Sudan solidarisieren. Das bedeutet hierzulande die Verantwortung der BRD und der NATO bezüglich des Krieges im Sudan und alledem, was zu ihm geführt hat, anzuprangern. Wir sind uns der Rolle der Imperialisten in diesem Konflikt bewusst, wir wissen, dass die Unterdrückung und Ausbeutung der Sudanes:innen auch in ihrem Interesse steht!
Für eine Revolution, ohne Kompromisse!
Hoch die internationale Solidarität!
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